GEHÖRT | Michelle Cuevas: Kasimir Karton - Mein Leben als unsichtbarer Freund

Bei Kasmir rappelt's im Karton

Wie geht es einem kleinen Jungen, wenn er herausfindet, dass er gar nicht real ist, sondern der eingebildete Freund eines Mädchens, das er acht Jahre lang für seine Zwillingsschwester gehalten hat? Come in and find out! :)

Kasimir Karton ist acht Jahre alt. Er lebt zusammen mit Mama und Papa, seiner Zwillingsschwester Fleur und dem Familiendackel ein ganz zufriedenes Leben. Wenn man mal davon absieht, dass ihn außerhalb der Familie absolut niemand beachtet und der Dackel ihn nicht leiden kann (aber das beruht auf Gegenseitigkeit).

Als Kasimir nach und nach herausfindet, dass er nur der imaginäre Freund von Fleur ist, bricht für ihn (s)eine Welt zusammen. Während Fleur wegen ihrer zu üppigen Fantasie zum Psychiater gehen muss, lernt Kasimir die Gruppe der "Anonymen Eingebildeten" kennen. Darin versammeln sich die skurrilsten imaginären Wesen, die man sich nur vorstellen kann, darunter eine Stinkesocke, das "Alles" und ein Cowgirl auf Rollschuhen.

Kasimir lässt sich schließlich von Fleur in die (vermeintliche) Freiheit entlassen - und wacht irgendwann bei einem Jungen auf, dessen imaginärer Freund er jetzt ist. Und etwas später bei noch einem Mädchen. In ihre Familie kommt er als (ebenfalls nur eingebildeter) Hund und langsam wird es ihm zu bunt: Warum nur ist er von Fleur weggegangen! Dort hatte er doch ein wunderschönes Leben, so im Rückblick betrachtet! Über die Probleme, die ihn dort belastet haben,  kann er jetzt nur noch müde lächeln.  Als dann ein echter Hund in die Familie kommt, ist es Zeit für Kasimir, sich zu entscheiden.

"Du bist so unsichtbar, wie du dich fühlst, egal ob dich jemand erfunden hat oder nicht", sagt Fleur. Wie recht sie hat.

Die Geschichte um Kasimir Karton ist wirklich außergewöhnlich. Nicht die Idee des eingebildeten Freundes an sich, sondern die Art, wie die Geschichte erzählt ist: nämlich strikt aus der Sicht dieses nicht-existenten Wesens, das aber ebenso intensive Gefühle hat wie ein Menschenkind. Und dazu noch jede Menge sehr kluge Gedanken.

Die Geschichte ist unter der klaren und einfachen Handlung sehr vielschichtig bis philosophisch - das freut die (vor)lesenden bzw. mitlauschenden Erwachsenen. Und sicher erfassen die Kinder intuitiv auch vieles, was zwischen den Zeilen mitschwingt. Es wird dem Hörspaß aber auch kaum Abbruch tun, wenn sie nicht jedes Wort und nicht jede Wendung in der Geschichte gleich verstehen; zu knifflig ist manchmal das Hin und Her zwischen realer Welt und der Welt der eingebildeten Freunde.

Die wunderbar fantasievolle Ausgestaltung der Geschichte wird sie aber ganz sicher begeistern. Die Stimmung ist für ein Kinderbuch (Altersempfehlung des Verlags: ab 8 Jahre) ungewöhnlich melancholisch, das Ende philosophisch und berührend. Ingesamt eine wirklich eindrückliche Geschichte!

Das Hörbuch ist famos eingelesen vom Schauspieler Ulrich Noethen. Er belebt die Geschichte unglaublich mit seiner wandelbaren, sympathischen Stimme. Die Kinder werden sich weglachen, wenn Stinkesocke zu Wort kommt (ja, man kann müffelsockig sprechen!), und auch die anderen anonymen Eingebildeten sind herrlich. Dem kleinen Kasimir gibt er die richtige Mischung aus kindlicher Neugier und reifer Nachdenklichkeit.

Das Hörbuch wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet (u. a. Platz 1 der hr2-Hörbuchbestenliste April 2017 für Kinder-/Jugendhörbuch) und das ist überaus berechtigt. Ein großer Hörspaß! 

Bei Kasmir rappelt's im Karton - eine ungewöhnliche Geschichte, ein großartig gelesenes Hörbuch!